Giulia Silberberger sammelt Verschwörungstheorien
.
Die Berlinerin Giulia Silberberger (34) sammelt Verschwörungstheorien auf Facebook und verleiht jedes Jahr den „Goldenen Aluhut“ für die absurdeste. Sie berät zudem Menschen, die sich in Verschwörungstheorien verrannt haben. Weil sie ihre Kindheit in einer Sekte verbringen musste, weiß sie, was es heißt, indoktriniert zu werden.
profil: Ihre Mutter schloss sich den Zeugen Jehovas an, als sie acht Jahre alt waren. Sie sehen heute große Ähnlichkeiten zwischen Sekten und Verschwörungstheorien. Welche?
Silberberger: Meine Mutter hatte eine schwierige Zeit
und war auf der Suche nach Halt. Da landet man manchmal bei Gott – oder
auch in einer Sekte. Für mich war das sehr schlimm. Ich war immer schon
ein analytischer Geist. Mein Vater hatte mich schon als
Zweijährige mit ins Planetarium genommen und viel Wert auf meine
wissenschaftliche Grundbildung gelegt. Ich musste bei den Zeugen Jehovas
mein gesamtes Weltbild verändern. Es wurde mir eingetrichtert, dass das
Strafgericht Gottes mich jederzeit für meine Zweifel vernichten kann. Das hat mich zerbrochen. Die
Ähnlichkeiten zu Verschwörungstheorien sind frappant: Zum Beispiel die
starke Polarisierung in Gut und Böse. Sektenmitglieder fühlen sich
ebenso wie Verschwörungstheoretiker als Herrscher über die Wahrheit. Sie
sind die einzigen, die alles durchschaut haben, alle anderen sind
Schlafschafe und müssen erst aufwachen. Die Zeugen Jehovas sagen sogar,
sie seien „in der Wahrheit“. Beide träumen von einem Umbruch, der sie
von der Knechtschaft des alten Systems befreien wird.
profil: Was suchen Menschen in solchen Gemeinschaften?
Silberberger: Ich beobachte viele unterschiedliche
Gründe. Menschen, die eine schwere Krankheit haben landen oft bei der
Big Pharma-Verschwörungstheorie. Sie besagt, dass die Pharmaindustrie
die Menschen absichtlich krank macht. Ängstlichen Menschen geben
Verschwörungstheorien Struktur, weil sie die Welt in Gut und Böse
aufteilen. Auch Einsamkeit ist ein starkes Motiv. Die Impfgegner sind
hingegen Lifestyle-Verschwörer. Sie sind oft jung, gebildet, kreativ und
finden es schick, ihre Kinder nicht impfen zu lassen.
profil: Wie muss man sich den Alltag in einer Sekte vorstellen?
Silberberger: Es gab fünf Treffen pro Woche. Freunde
außerhalb zu haben war verboten. Mein Tag war davon bestimmt, mich
selbst dafür zu hassen, dass ich nicht glauben konnte. Ich hatte Angst
zu sterben, dazwischen gab es Bibelstudium und Predigtdienst.
profil: Aber Sie gingen doch auch in die Schule. Hat Sie das irgendwie herausgerissen?
Silberberger: Nein. In der Schule wurde ich übel
gemobbt, weil ich bei den Zeugen Jehovas war. Ich konnte bei den Festen
nicht mitmachen, mich nicht für Bands oder Filme interessieren, denn das
galt als Götzendienst. Mein Vater hatte sich scheiden lassen, von ihm
und seiner neuen Familie wurde ich auch gehänselt. Ich war aber auch
sehr anstrengend. Für das Zeug, das ich damals von mir gegeben habe,
würde ich mir heute den Goldenen Aluhut verleihen. Bei den Zeugen war
ich ebenfalls Außenseiterin. Die Versammlungsältesten haben mir sogar
verboten zu heiraten, weil ich keine unterwürfige Ehefrau abgeben würde.
Jungen Glaubensbrüdern, die mir den Hof machen wollten, wurde der
Umgang mit mir verboten.
profil: Wie haben Sie den Ausstieg geschafft?
Silberberger: Das war purer Überlebenswille. Ich
wusste, wenn ich bleibe, würde ich es mit dem Leben bezahlen. Ich hätte
mir etwas angetan, ich hätte es nicht länger ertragen, in diesem Käfig
zu leben. In meiner Seele war damals nichts als Dunkelheit, Schmerz und
Leere. Ich habe am Ende sogar meine Mutter mit rausgenommen. Es war ein
riesiger Kraftakt. Über fünf Jahre hinweg habe ich mich langsam gelöst.
Ich ging seltener zu den Versammlungen, habe mir im Internet neue
Freunde gesucht. Einmal habe ich mich total ausgeklinkt und mich zwei
Jahre lang einer okkulten Hexengesellschaft angeschlossen. Als die
Zeugen dann an meine Tür klopften, haben sie mich wieder eingefangen.
Ich musste mir über Jahre hinweg immer wieder sagen: Es wird keine
endzeitliche Schlacht, kein Harmagedon, kommen. Es gibt niemanden, der
mich vernichten will. Ich kann nur jedem raten, eine
Sektenausstiegstherapie zu machen. Dadurch kapiert man erst, wie sehr
man manipuliert wurde und kann manche Muster endlich ablegen.
profil: Ihre Mutter ist zwar bei den Zeugen Jehovas ausgestiegen, dann aber an Verschwörungstheoretiker geraten. Wie kam das?
Silberberger: Meine Mutter ist eine ewig Suchende. Sie
hatte einen Unfall, woraufhin sie starke Schmerzen im Rücken bekam. Sie
kam auf die Idee, Mikrowellen könnten schuld an ihrem schlechten
körperlichen Zustand sein. Also schickte ich sie zum Arzt, damit der ihr
erklärte, dass das unwahrscheinlich ist. Ärgerlicherweise
geriet sie an eine Ärztin, die ihr erzählte, sie habe viele Patienten,
die gesundheitliche Probleme durch Chemtrails haben. Sie unterstützte
meine Mutter auch noch in ihrer Angst! Daran sieht man, dass auch
Gebildete nicht vor Verschwörungstheorien gefeit sind. Auch meine Mutter
ist sehr gebildet. Sie hat während des Kalten Kriegs in
den Siebziger und Achtziger Jahren beim Katastrophenschutz in Berlin
gearbeitet. Sie lebte damals mit dem Atomkrieg im Nacken. Es war eine
Zeit voller realer Verschwörungen. Zum Glück ist sie inzwischen nicht
mehr auf Chemtrail-Seiten im Internet aktiv. Der erste Schritt ist, sich
nicht mehr täglich mit diesen Schwurbelleuten zu beschäftigen.
profil: Was ist derzeit Ihre Lieblings-Verschwörungstheorie?
Silberberger: Die flache Erde. Kürzlich habe ich die
Unterhaltung zweier Anhänger dieser Theorie auf Facebook gelesen. Der
eine fragte: Warum kann ich eigentlich nicht von Gibraltar aus bis nach
New York gucken? Der andere antwortete: Na wegen der Chemtrails!
profil: Sie haben kürzlich Xavier Naidoo mit dem „Goldenen Aluhut“ geehrt. Warum?
Silberberger: Xavier Naidoo vertritt die Meinung der
„Reichsbürger“, die der Ansicht sind, Deutschland werde immer noch von
den Alliierten besetzt und sei kein souveräner Staat. Dafür haben wir
ihm den Goldenen Aluhut 2015 verliehen.
Man sollte Verschwörungstheorien aber durchaus ernst nehmen. Es gibt Menschen, die über die „Reichsbürger“ in die rechtsradikale Szene abrutschen. In Berlin sind die Rechten derzeit wieder sehr aktiv und es kann einem passieren zwischen Demonstranten zu landen, die ernsthaft vorhaben, den Reichstag zu stürmen.
profil: Auf der Website dergoldenealuhut.de machen Sie sich über Verschwörungstheorien lustig, wollen aber auch aufklären.
Silberberger: Ich will über die
Satire ein Bewusstsein für diese Gruppen schaffen, seien es nun die
Zeugen Jehovas, die Chemtrail-Verschwörer oder die „Reichsbürger“. Bei
ganz vielen Menschen, denen ich täglich im Internet begegne, sehe ich
die Therapiebedürftigkeit. Man muss vor allem junge Menschen schützen.
Es gibt tatsächlich Kinder, die sich nicht aus dem Haus trauen, wenn sie
Kondensstreifen am Himmel sehen. Wir gehen an Schulen,
um aufzuklären. Wir vernetzen Ausstiegswillige mit Beratungsstellen und
veranstalten Infoabende in Neukölln.
.Giulia Silberberger sammelt Verschwörungstheorien
.Verschwörungstheorien – Leben im Wahn (HD)
.
Siehe auch:
http://blog.dergoldenealuhut.de/presse/ Auflistung
https://www.wired.de/collection/life/goldenere-aluhut-die-verruecktesten-verschwoerungstheoretiker-des-jahres
1 Kommentar:
Noch eine Ergänzung zum „Goldenen Aluhut“ 2016
Foto: DPA
.
Eine der populärsten Verschwörungstheorien: Kondesstreifen sind in Wirklichkeit „Chemtrails“ und vergiften die Bevölkerung – sie können aber mit „Organit-Pyramiden“ unschädlich gemacht werden.
.
Deutschland, Land der Verschwörungstheoretiker
.
03.11.2016 Berlin. Am 30. Oktober wurde in Berlin zum zweiten Mal der goldene Aluhut verliehen. Die Auszeichnung geht in diesem Jahr an fünf besonders umtriebige Verschwörungstheoretiker aus Deutschland.
Donald Trump ist eine Echse, Knoblauch hilft gegen 14 Arten von Krebs und die Bundesrepublik Deutschland gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Was soll man dazu noch groß sagen? In fünf Kategorien wurden jetzt wieder Deutschlands umtriebigste Verschwörungstheoretiker nominiert und per Online-Voting mit dem goldenen Aluhut 2016 geadelt. Der Preis ist im Prinzip die Goldene Himbeere der Szene und wird – mit einem Augenzwinkern – bereits zum zweiten Mal verliehen.
Mit der Preisverleihung soll Aufklärungsarbeit geleistet werden. Die populärsten Verschwörungstheorien erfreuen sich inzwischen großer Beliebtheit und suchen hartnäckig einen Weg in die gesellschaftlich akzeptierte Konsensfähigkeit. Die erste Mondlandung wird beispielsweise von Vielen angezweifelt, ebenso der Tod von Lady Di oder 9/11. Während eine skeptische Grundhaltung gegenüber massenmedial rezipierten Großereignissen noch nachvollziehbar erscheinen mag, polarisieren radikalere Ansätze schon eher. Das bewies auch jüngst ein Anrufer bei Domian, der unter anderem behauptete, die Erde sei eine Scheibe.
(Siehe Video im Link)
http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/politik/deutschland/Deutschland-Land-der-Verschw%C3%B6rungstheoretiker-article3396907.html
.
Gruß Hubert
Kommentar veröffentlichen