Causa Heiss. Innsbrucker Professor Michael Gehler zeigt dem System Südtirol die rote Karte.
Einzigartig in ganz Europa, trage es inzwischen Züge repressiver Regimes.
Zu viel Zeitgeschichte tut nicht gut. Mit dieser Auffassung steht Robert Kaserer, ehemaliger SVP-Landtagsabgeordneter, nicht allein da, als er sich am Freitag vergangener Woche an Michael Gehler wendet: In der Sache sei er zwar mit seiner Kritik einverstanden, "aber in dieser Tonart, wie Sie das gebracht haben, finde ich das deplatziert". Was war geschehen? Gehler, Professor am Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte, referierte beim Tag der Zeitgeschichte im Konferenzsaal der Gemeinde Bozen über Südtirol in der italienisch-österreichischen Diplomatie. Seinen Beitrag beginnt er mit der Aktion "Rote Karte". Er zeige sie "den zuständigen Herren und Gremien dieses Landes", die für den Rauswurf seines Kollegen Hans Heiss aus dem Verwaltungsrat des Landesmuseums Schloss Tirol und aus dem Fachbeirat des Touriseums auf Schloss Trauttmansdorff (siehe ff 36/04) verantwortlich sind. In diesen Räten hat Heiss, einer der angesehensten Historiker des Landes und habilitierter Experte für Tourismusgeschichte, gegen ein geringes Sitzungsgeld bis Frühjahr beziehungsweise Sommer dieses Jahres gewirkt. Nachdem er jedoch seit einem Jahr für die Grünen im Landtag sitzt wo er die SVP immer wieder ärgert, zogen Landeshauptmann Luis Durnwalder und Museumschef Bruno Hosp den Schlussstrich. Begründung: In Fachbeiräten sollten keine aktiven Politiker sitzen. Warum Heiss nicht mehr dem Verwaltungsrat von Schloss Tirol angehört, weiß er bis heute nicht. Offiziell ist ihm nichts mitgeteilt worden.
Gegen den Baum.
"Historiker haben zu solchen Vorgängen nicht zu schweigen", findet Michael Gehler. In seinen Augen ist das Passierte Ausdruck einer politischen Unkultur, die "einer Typologie autoritärer und repressiver Regimes" zuzuordnen sei. Allerdings lässt er Reinhold Messners Vergleich mit der DDR nicht gelten. "Südtirol war und ist nicht von einem eisernen Vorhang umgeben", sagt Gehler, "man konnte und kann gehen. Was nicht wenige kluge Köpfe auch taten und tun. Zu fragen wäre, warum. Es gab und gibt auch keine Trabis und Wartburgs, sondern Fiat, Alfa Romeo, VW und Mercedes, mit denen man auch über den Brenner und durch die Salurner Klause fahren kann. Aber auch in Südtirol kann man an einen Baum fahren oder aus der Kurve fliegen. Und sonst, im Unterschied zur DDR, konnte man hier auch Südfrüchte aller Art genießen. Bananen machen aber noch keine Republik." Vor 15 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen, wenig später zerbröselte der Ostblock, der Kalte Krieg gehört seitdem der Vergangenheit an. Nicht so in Südtirol, findet Gehler: "Der Kalte Krieg des Gesinnungszwangs unter Ausschaltung alternativen und anderen Denkens scheint hier - wie die Causa Heiss zeigt - offenbar noch Wirklichkeit zu sein." Schuld daran sei eine europaweit einzigartige "Einparteienhyperdominanz".
Parteigänger.
Tatsächlich scheint das "System", wie es der Innsbrucker Zeitgeschichtler definiert, System zu haben. Schaut man sich die Gremien und Beiräte jener Gesellschaften an, in denen die Landesregierung ein Wörtchen mitzureden hat, wimmelt es nur so von Parteigängern. So sitzt beispielsweise Heinrich Holzer im Verwaltungsrat der Brennerautobahn AG. Er ist Durnwalders Ressortchef und Vizebürgermeister von Mühlwald. Weitere SVP-Verwaltungsräte sind Franz Spögler, Karl Oberhauser (Sadobre), Manfred König, Christoph Engl (Meraner Thermen), Dieter Schramm (Südtiroler Transportstrukturen AG), Alois Kofler (BrennerCom), Karl Ferrari, Klaus Stocker, Konrad Pfitscher, Christoph Perathoner (Sel), Reinhold Marsoner und Dieter Steger (Südtirol Marketing). Der Pusterer SVP-Obmann Franz Pircher sitzt gar im Aufsichtsrat der Eco- Center AG und im Verwaltungsrat der regionalen Investitionsbank Mediocredito. Luis Durnwalder selbst ist Präsident des Verwaltungsrates von Schloss Tirol; sein persönlicher Referent Heinrich Huber übte dasselbe Amt im ladinischen Museum auf Schloss Thurn aus und nimmt jetzt an den Sitzungen des Fachbeirates teil. Michael Gehler fordert daher dazu auf, "diese im stillen Kämmerlein getroffenen Entscheidungen rückgängig zu machen" und Hans Heiss wieder in die Räte von Schloss Tirol und Touriseum zu integrieren. Wenig Freude mit der roten Karte für die Mächtigen hat Josef Nössing. "Diese Aktion ist ohne meinen Willen geschehen und wäre nur mit Gewalt zu unterbinden gewesen", sagt der Chef des Landesarchivs (Heiss ehemaliger Vorgesetzter) und Organisator der Tagung zugeknöpft. "Aber das haben wir nicht getan. Mehr sage ich dazu nicht." Einen zaghaften Versuch für die Rehabilitation von Heiss hat auch Kulturlandesrätin Sabina Kasslatter-Mur gestartet. Doch als sie das Thema vor einigen Wochen bei der Sitzung der Landesregierung angesprochen hat, erhielt sie als Antwort einzig das Durnwalder-typische Lächeln.
Karl Hinterwaldner
(erschienen in der "FF" - Südtiroler Illustrierte
ca. Oktober/November 2007)
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