Es ist unverantwortlich, wenn die Politik ein Krankenhaus in private
Hände gibt. Dort zählen nur mehr Gewinn. Ärzte, Pflegekräfte und
Patienten spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Es wird nur danach
getrachte die höchste Rendite zu erzieln. Man kann sich leicht
vorstellen wie unmenschlich das dann wird. Man kann sich keine passenden
Patienten schnitzen, um möglichst viel Geld einzustecken.
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Ex-Chefarzt rechnet ab
„Im Krankenhaus ist der Mensch kein Mensch mehr“
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Krankenhäuser als Fabriken, die
Mediziner entmündigt – so beschreibt der ehemalige Chefarzt Ulrich
Hildebrandt das System privater Klinikkonzerne. Für Patienten bringe das
ein hohes Risiko mit sich.
DPA -Ärzte und Assistenten bei einer Operation in einer deutschen Klinik
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Die Pflegekräfte sind überlastet, die Ärzte
sollen mit strengen Vorgaben auf Rendite getrimmt werden. Der Fall des
Asklepios-Konzerns zeigt eindrücklich, was passiert, wenn der Staat
einen elementaren Teil der Daseinsvorsorge in die Hände von privaten Unternehmen gibt.
Die Realität in deutschen Krankenhäusern erschreckt selbst
langjährige Mediziner. Ulrich Hildebrandt war leitender Oberarzt an
einer Uniklinik und hat als Chefarzt die Privatisierung von zwei
Krankenhäusern miterlebt. Er habe „die Nase voll, von dem Bild, das in
Krankenhausserien vermittelt wird“, sagt er. „Da sind immer alle
begeistert von ihrer Arbeit. Das entspricht nicht der
Krankenhausrealität“.
Zur Person
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Werner Schuering/DER SPIEGEL
Ulrich Hildebrandt, geboren am 15. Juni 1949 in Bautzen, ist
Chirurg. Er arbeitete als Chefarzt in Salzgitter und Pritzwalk, war
leitender Oberarzt und ständiger Chefvertreter der chirurgischen Klinik
der Universität des Saarlandes. Mittlerweile lebt Hildebrandt in Berlin.
Seine oft negativen Erfahrungen hat der Chirurg in seinem Buch „Die Krankenhausverdiener“ veröffentlicht.
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SPIEGEL ONLINE: Herr Hildebrandt, das Defizit vieler Kliniken
in Deutschland wächst, ein Viertel aller Krankenhäuser arbeitet mit
Verlust. Viele Städte ziehen deshalb die Notbremse und privatisieren
ihre Krankenhäuser. Eine gute Lösung?
Hildebrandt: Damit wird die Daseinsvorsorge aufgekündigt. Ich
war 22 Jahre lang in städtischen und universitären Kliniken
beschäftigt. Auch dort wurden wir Ärzte angehalten, nicht dauernd Miese
zu machen. Aber es gab keinen Druck, für immer mehr Gewinn zu sorgen.
Nach der Privatisierung, das habe ich selbst erfahren, begann die
ständige Diskussion mit der Geschäftsführung über Erlösziele und das
Pflegepersonal.
SPIEGEL ONLINE: Wie hat sich dieses Ringen um das Personal ausgewirkt?
Hildebrandt: Mediziner werden für das Ziel höherer Gewinne
entmündigt. An der Uniklinik habe ich einmal miterlebt, wie sich ein
Chefanästhesist beschwerte, der Pflegeschlüssel auf der Intensivstation
sei zu niedrig. Als ihm weiteres Personal nicht bewilligt wurde, schloss
der Kollege kurzerhand Teile der Station. Als daraufhin die
Patientenzahlen im OP zurückgingen, knickte die Klinikleitung ein und
stockte die Pflegekräfte auf. In privaten Kliniken ist das
Arbeitsverweigerung, da droht Chefärzten heute die Kündigung.
SPIEGEL ONLINE: Die Kosten im Gesundheitswesen ufern aus.
Dass Krankenhäuser auf das Geld achten, ist doch grundsätzlich sinnvoll.
Wo liegt das Problem?
Hildebrandt: Das Problem liegt darin, dass die Normen der
Industrie auf Krankenhäuser übertragen werden, obwohl es um
Menschenleben geht. Der Mensch im Krankenhaus ist heute kein Mensch
mehr, sondern eine Fallpauschale.
Es ist ein verdichtetes System
entstanden, das ein hohes Risiko für die Patienten mit sich bringt. Das
wird besonders stark in privaten und auch kirchlichen Kliniken sichtbar.
Das Schlimme dabei ist, dass dieser Markt zu 100 Prozent von der
Solidargemeinschaft finanziert wird und private Klinikträger das Geld
mit beiden Händen heraustragen. Das sind letztlich private Entnahmen aus
einem solidarisch finanzierten System.
SPIEGEL ONLINE: Wie macht sich die Gefahr des starken Effizienzdrucks für Patienten bemerkbar?
Hildebrandt: Private Träger
passen höllisch auf, dass Patienten so kurz wie möglich und exakt so
lange wie nötig im Haus bleiben, um mit ihnen Geld zu verdienen. Die
Matratzen dürfen nicht kalt werden, es dürfen erst recht keine Betten
leer stehen. Jeder Chefarzt, der Betten nicht belegt, bekommt Personal
gekürzt. Die Isolation bestimmter Patienten ist unter einem solchen
Druck manchmal gar nicht mehr möglich, die Hygiene leidet.
SPIEGEL ONLINE: Wie geben die Klinikleitungen den ökonomischen Druck an die Ärzte weiter?
Hildebrandt: Die Stellung der Chefärzte gegenüber der
Geschäftsleitung hat sich sehr gewandelt. Chefärzte mussten immer für
ihre Leistung geradestehen, aber in den privaten und sicher auch manchen
kommunalen Kliniken werden heute Vorgaben für Fälle, Fallschwere,
Rendite gemacht, die man einfach zu erfüllen hat. Da fragt niemand, wie
ich es noch von städtischen Kliniken kenne, ob die Zahlen überhaupt
erreicht werden können und was realistisch ist.
SPIEGEL ONLINE: Warum wehren sich die Ärzte nicht?
Hildebrandt: Aus den
Chefarztkonferenzen mit der Geschäftsleitung geht man erstmal atemlos
raus. Man trägt ja als Chefarzt auch Verantwortung für sein Personal.
Und jeder weiß, wenn er Monat für Monat nicht die Erwartungen erfüllt,
fliegt er raus. Da ist der ständige Druck, man hat schon wieder eine
rote Ampel bekommen, hat die vorgegebenen Zahlen nicht erreicht. Jetzt
beginnt die Gefahr. Man ist innerlich gepolt auf Wirtschaftlichkeit, das
ist wie eine Gehirnwäsche.
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SPIEGEL ONLINE: Wie wirkt sich das auf den Alltag in der Klinik aus?
Hildebrandt: Der Druck wird subtil aufgebaut. Kein
Geschäftsführer sagt direkt heraus: Warum haben Sie statt 130
vorgeschriebener nur 100 Darm-OPs gemacht? Als Chefarzt werden Sie
gefragt, ob Sie erklären können, warum es weniger sind als geplant, oder
warum die Fallschwere unter Plan liegt. Wenn Sie antworten: Es gab
weniger Krebsfälle, kommt man Ihnen mit anderen Kliniken oder Regionen
als „Benchmark“. Demnach hätten es in diesem Einzugsgebiet aber 130
Fälle sein müssen. Sie werden dann gefragt, warum Sie zulassen,
dass die Patienten also offensichtlich in andere Häuser gehen, um sich
operieren zu lassen. Dann können Sie versuchen, mit Informationsabenden
Werbung für Ihre Abteilung zu machen, Hausärzte als Zuweiser zu gewinnen
– oder eben mehr zu operieren, wenn sie Patienten mit der richtigen
Indikation dafür haben.
SPIEGEL ONLINE: Sie können sich doch keine passenden Patienten schnitzen, die krank genug sind, um operiert zu werden.
Hildebrandt: Eine Indikation ist keine scharfe Linie. Ärzte
können durchaus begründen, warum eine Operation umfassender ausfallen
muss, als es ein anderer Arzt sehen würde. Wenn
dann der Druck der Zahlen dazukommt, besteht die Gefahr, dass man eher
mal in einer Dimension operiert, die streng genommen wider den
hippokratischen Eid ist.
SPIEGEL ONLINE: Was könnte die Politik tun, um ein effizientes und zugleich patienten- wie mitarbeiterfreundliches Kliniksystem aufzubauen?
Hildebrandt: Eine wichtige Hilfe wären verbindliche
Personalschlüssel für Pflegekräfte. Für jedes Flugzeug ist gesetzlich
geregelt, wie viele Flugbegleiter an Bord sein müssen. Bei
Krankenhäusern wird das dem wirtschaftlichen Kalkül überlassen. Mit dem
Ergebnis, dass die Zahl der Pflegekräfte meist viel zu niedrig geplant
wird. Chefärzte können leicht unter Druck gesetzt werden mit der
Drohung, Pflegestellen zu verlieren oder für den Ausbau ihrer Station
nicht genug neue Stellen zu erhalten. Jeder weiß, dass Medizin damit
viel teurer würde. Auch ein nationaler Krankenhausplan, der festlegt, wo
wie viele Krankenhäuser gebraucht werden, wäre sinnvoll, damit sich
nicht an den Grenzen der Bundesländer die Kliniken unnötig Konkurrenz
machen und sich Patienten abzujagen versuchen.
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Gruß Hubert
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