Der Skandal um den gekreuzigten Frosch im erzkatholischen Südtirol des 1997 verstorbenen Künstlers Martin Kippenberger liegt schon einige Jahre zurück. Sein Frosch wurde im Jahr 2008 im neuen Bozner Museion ausgestellt und brachte die Südtiroler Volksseele zum kochen, weil sie ihre religiösen Gefühle verletzt sah, aber keine Ahnung von selbstironischen Intention von Kippenberger hatte – oder diese wohl auch nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Der gekreuzigte Frosch war und ist eine Chrarakter- und Sittenbild für Südtirol, das zu einem hohen Anteil noch immer klerikal bis bigott geprägt ist, eine durch und durch katholische Provinz. Für Außenstehende ist es kaum nachvollziehbar, wie dieser gekreuzigte Frosch die Volksseele zur Wallung brachte und wie lange es dauerte bis sich die Volksseele wieder auf Normaltemperatur abkühlte.
.Wikipedia schreibt:
Die Skulptur ist als ironisches Selbstporträt Kippenbergers
gedacht. Es spiegle nach Ansicht des Bozener Museum für Moderne Kunst
den damaligen Gemütszustand des Künstlers nach einem Alkohol- und
Drogenentzug wider und habe „nichts mit Religion zu tun.“
Kontroverse
Das Kunstwerk sorgte für zahlreiche Irritationen; man forderte, es
anlässlich des Papstbesuchs 2008 aus dem Museumsraum in Bozen zu
entfernen. Angestoßen von der Sonntagszeitung Zett kam es zu
Interventionen von zahlreichen politischen Kreisen und Teilen der
katholischen Kirche sowie einer hitzig geführten Diskussion unter
anderem auf den Leserbriefseiten der Tageszeitung Dolomiten.
Papst
Benedikt XVI. schrieb an den Präsidenten des Südtiroler Regionalrates,
Franz Pahl, der gekreuzigte Frosch verletze die religiösen Gefühle
vieler Menschen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Zuerst_die_F%C3%BC%C3%9FeHier ein Artikel aus der ZEIT.
Kunstskandal – Im Herrgottswinkel
Ein gekreuzigter Frosch ließ in Südtirol die Volksseele kochen. Ein Zahnarzt in Innsbruck hat ihm Asyl gewährt
Lothar Tirala ist verärgert. Er weiß, dass sein Frosch nie beliebt war, ja sogar angepöbelt wurde. Doch dass er ihn nun gesund pflegen musste, damit hatte der Tiroler nicht gerechnet. »Er hatte Verletzungen an seinen Fingern und Zehen«, sagt Tirala und schüttelt den Kopf. Dem Museum für moderne Kunst in Bozen hatte der Zahnarzt seinen Liebling anvertraut. Er wollte den Südtirolern etwas Gutes antun, ihnen zur Neueröffnung ihres Museion eine Welt fernab von Andreas Hofer, Ötzi und Reinhold-Messner-Kitsch bieten: einen knallgrünen Holzfrosch an ein Kreuz geschlagen, moderne Kunst eben.
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Diese gequälte Kreatur ist einer von fünf Fröschen aus der Serie Zuerst die Füße des verstorbenen deutschen Künstlers Martin Kippenberger. Monatelang hing das Werk im Bozner Museion, bis es Ende September wieder nach Innsbruck zu seinem Herbergsvater Lothar Tirala abgeschoben wurde. Mit dem Tier wollte man südlich des Brenners nichts mehr zu tun haben. Zu viel Unheil hatte der Frosch über die autonome italienische Provinz gebracht. Der Museumsdirektorin wurde gekündigt, ein Politiker hungerte sich krankenhausreif, und sogar der Papst soll seinen Unmut über das blasphemische Getier geäußert haben.
Die gekreuzigte Amphibie mit heraushängender Zunge, einem Bierkrug in der rechten und einem Ei in der linken Hand war allerdings nie als gotteslästerliche Provokation gedacht. Vielmehr sollte sie den Künstler selbst symbolisieren, Kippenbergers Alter Ego,
der sich »sein Leben lang als Opfer gesehen hat«, wie Tirala die
armselige Kreatur interpretiert. Mitte der Neunzigerjahre erwarb er
eines der letzten Exemplare aus der bunten Frosch-Serie. »Für mich war
das wichtige Kunst, die der Martin produziert hat«, erklärt der
63-jährige Innsbrucker.
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Ende der Achtzigerjahre begegneten der
Zahnarzt und der Künstler einander das erste Mal. Kippenberger
verbrachte immer wieder einige Monate in Tirol.
Tirala weiß noch, wie zu seinen Ehren regelrechte Festspiele
veranstaltet wurden, Ausstellungen und Abende, an denen der Künstler
Witze in großer Runde erzählte und es nicht duldete, dabei unterbrochen
zu werden. Freunde seien sie aber nicht wirklich geworden. »Dazu hätte
ich mehr trinken müssen«, sagt Tirala und erinnert sich an lange Nächte,
die mit »gesunden« Bloody Marys im Morgengrauen endeten. »Er
hat darunter gelitten, dass ihn die Leute als Trunkenbold sahen und
nicht als den großen Künstler, als den er sich betrachtete.«
Kippenberger starb mit 44 Jahren an Leberversagen.
(Martin Kippenberger sagte einmal: «Ich geh kaputt, gehst du mit?»)
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Mit
seinem Erlöser-Frosch errang er nun jene Berühmtheit, die ihm Zeit
seines Lebens verwehrt geblieben war, wie seine Schwester Susanne
Kippenberger im Berliner Tagesspiegel meinte: »Mein Bruder
Martin sitzt im Himmel, so hoffe ich, und freut sich kaputt. Das war es
ja, was er wollte: schockieren, um der Wahrheit willen, mit Witz und
Selbstironie. Kunst, fand er, ›soll wehtun‹.«
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Das
dachte auch Corinna Diserens, die Direktorin des Museion. Die gebürtige
Schweizerin wollte beweisen, dass selbst Südtirol ein gekreuzigter
Frosch zumutbar sei, einem Land, in dem die konservative SVP seit einem
halben Jahrhundert mit absoluter Mehrheit regiert und das der Papst zu
seinem Urlaubsdomizil auserkoren hat. Das war ein Irrtum. »Nur jemand der holla ist«, empörte sich am Tag nach der Ausstellungseröffnung im Mai 2008 der Landeshauptmann Luis Durnwalder, könne es wagen, so ein Machwerk über die Häupter der Museumsbesucher zu hängen. In der Regionalzeitung Dolomiten zürnten zahlreiche Leserbriefschreiber,
sogar in Mundartreimen: »Der Frosch muaß ganz / schleinigst weck / fa
unserem schianen / Tirolerfleck!« Oder »Dö Kunst isch nix für unser
Land, sie soll dorthin, von wo sie stammt«.
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Der SVP-Abgeordnete Franz Pahl nutzte die Aufregung für die
bevorstehende Landtagswahl. Warum nicht aus dem Frosch ein Politikum
machen? Er stellte ein Ultimatum: Sollte der Frosch nicht rasch
verschwinden, würde er aus Protest hungern. Er tat es und campierte vor
dem Museion. »Manchmal standen die Leute in einer Reihe wie bei
der Beichte, bis sie mit mir reden konnten«, erzählt Pahl stolz, der
jüngst ein Buch mit dem Titel Die islamische Überrumpelung veröffentlichte. Er
gefällt sich noch heute in der Rolle des einsamen Soldaten, der für den
lieben Gott in die Schlacht zog. Nach acht Tagen brach der
Hungerkämpfer zusammen. Die Polizei fand einen psychisch verwirrten Mann
vor, der auf nichts mehr reagierte. Der 49-Jährige wurde ins
Krankenhaus eingeliefert. Der Frosch blieb, Pahl zog sich nach 25 Jahren
aus der Politik zurück und unterrichtet seitdem Literatur an einer
Handelsoberschule.
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»Heute bin ich für Frösche sensibilisiert«, sagt Sabina Kasslatter-Mur
verbittert. Die Landeskulturrätin musste den Frosch bis zum bitteren
Ende in unzähligen Interviews verteidigen und Freiheit für die Kunst
fordern. Ein heikles Unterfangen in der katholischen Provinz, wenn
Wahlen bevorstehen. »Ich habe schon um meinen Platz in der
Regierung gezittert.« Den hat sie zwar wieder, doch an Popularität büßte
sie stark ein. Die Anzahl ihrer Vorzugsstimmen wurde halbiert, in der
eigenen Partei behandelte man sie, als wäre sie ein Paria, und die
Kollegen wandten sich von der ketzerischen Frosch-Verteidigerin ab. Was
ihr blieb sind Frösche aus Plüsch, Glas, Ton und Holz, die ihr
zugeschickt wurden, die meisten begleitet von Drohbriefen. »Die Führung
war arrogant«, kritisiert Kasslatter-Mur die Museumsleitung. Sie hätte
die »verdammte Pflicht« gehabt, der Bevölkerung zeitgenössische Kunst
besser zu vermitteln. »Es ist nicht damit getan, den Frosch einfach in
den Eingang zu hängen – in einem katholischen Land!«
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Der
gekreuzigte Quakerich bescherte den Südtirolern sogar päpstlichen
Tadel. In einem Brief an den Landespolitiker Pahl soll der Pontifex
darauf hingewiesen haben, dass der Frosch »die religiösen Gefühle vieler
Menschen verletzt hat, die im Kreuz ein Symbol der Liebe Gottes und
unserer Rettung sehen«. Daraufhin wurde der Frosch ins Obergeschoss des Museums verräumt. Trotzdem
pilgerten Gebetsgruppen unermüdlich ins Museum, um gegen den
Gekreuzigten anzubeten. Museumsdirektorin Diserens blieb bis zum
Ausstellungsende hart. Das kostete sie ihren Job, auch wenn ihr
offiziell »Budgetüberschreitungen« vorgeworfen wurden. Diserens verließ Südtirol klammheimlich und ohne eine Wort über die Vorgänge zu verlieren.
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Heute hängt der Frosch wieder in Lothar Tiralas Esszimmer.
Dort fällt er kaum auf. Der Zahnarzt hat aus seiner
Dachgeschosswohnung, eine persönliche Oase für moderne Kunst geschaffen.
Bereits in jungen Jahren begann er, Kunst zu sammeln, tummelte sich
dann später auf Messen und verpulverte ein kleines Vermögen, weshalb ihn
viele in seiner Tiroler Heimat für verrückt hielten: Nur ein Spinner,
meinten die Nachbarn, blättere ohne Weiteres zwei Monatsgehälter für ein
gekreuzigtes Holztier hin.
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Lastet tatsächlich ein Fluch auf Kippenbergers Werk? Lothar Tirala zuckt mit den Schultern. »Leute,
die ihn nicht lieben, haben es schwer mit ihm«, sagt der Atheist und
blickt hoch zum Herrgottswinkel, in dem der Frosch hängt. »Für mich ist
er ein Segen.«
http://www.zeit.de/2009/04/A-Frosch
.

Marting Kippenberger (gest. 1997)
Siehe auch:
http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-kunst-und-museen/martin-kippenberger-sehr-gut-very-good-im-hamburger-bahnhof
.
Gruß Hubert
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